Der Umgang der Deutschen mit der Vergangenheit

Deutschland 04.02.2009

Es ist schon merkwürdig, wie die deutsche Politszene auf einen Akt des ökumenischen Goodwills seitens eines deutschen Papstes reagiert. Nicht, dass ich es nicht erwartet hätte, und ich bin sicher, dass ich mich in guter Gesellschaft befinde.

Es ist einfach schwierig, heutzutage ein Deutscher zu sein, egal im welchem Bereich. Man wird nicht in erster Linie an dem gemessen, was man in der eigenen Stellung in der Gesellschaft leistet, sondern daran, wie gut – oder wie schlecht- man mit der Shoah umgeht, wie ernsthaft man sich vom Rassendenken und, vor allem, vom Antisemitismus abgesetzt hat.

Ich bin sicherlich nicht derjenige, der das immense Verbrechen des versuchten und teilweise ausgeführten Völkermords leugnet oder verniedlicht, möchte aber zu bedenken geben, dass die heutige Welt auch aus anderen Werten besteht. Man bedenke auch, dass die Täter des Völkermords heute bereits größtenteils das Zeitliche gesegnet haben und dass eine Generation sich jetzt in der Führung unserer Gesellschaft befindet, welche die Gräueltaten der Generation einiger ihrer Eltern nur aus Erzählungen kennt. Es ist zwar leicht, in die Kerbe Helmut Kohls zu schlagen der, in meinen Augen zu recht, auf die „Gnade der späten Geburt“ hingewiesen hatte, man kann aber schwerlich seine Argumente ernsthaft erwidern, will man sich nicht ins gedankliche Minenfeld der generationenübergreifenden kollektiven Sünde begeben. Diese ist einfach kein Bestandteil unserer Zivilisation, sonst würden wir die US-Amerikaner noch diskriminieren, weil ihr Land auf dem Völkermord der Ureinwohner aufgebaut ist. Wenn wir sie jetzt nicht besonders lieben, hat es ganz andere Gründe, vom Irak bis Gaza und Guantanamo, über Lehmans Brother und Konsorten.

Es ist schon klar, dass Deutschland im Hinblick auf die Vergangenheit, auf einen vielleicht wieder aufkommenden Antisemitismus, in einer besonderen Verantwortung steht, aber laufen wir nicht Gefahr, aus einer Verantwortung ein groteskes Politikum zu machen? Betrachten wir nüchtern das Vorgehen des Papstes: Er ist bekanntlich bestrebt, alle christlich inspirierten Religionen auf der Welt im ökumenischen Sinne zusammen zu bringen. Da gibt es eine erzkonservative, immerhin christliche, Kirche, welcher ein Priester angehört, der den Holocaust zwar nie geleugnet hat, sondern relativiert, indem er die – historisch nie bewiesene Zahl der Opfer – in Frage gestellt hat. Hätte man ihn außerhalb der Kirche belassen, dann hätte er sich als Märtyrer empfunden und möglicherweise seiner Kirche eine ausgeprägte antisemitische Richtung gegeben. Benedikt der 16. hat es in weiser Voraussicht kommen sehen und hat ihn lieber unter die Obhut der Kirche geholt. Es ist gedanklich nicht nachvollziehbar, dass eine solche Tat „sensible“ Gemüter erregt und sie veranlasst, vom Antisemitismus der Kirche zu reden.

Wenn man eine Meinung, selbst die der Auschwitz-Leugner, dämonisiert, dann führen solche Bestrebungen mit einer gewissen Sicherheit zum entgegengesetzten Effekt. Die Siegermächte der Ersten WKs wollten Deutschland in die Knie zwingen, beschlossen die Besetzung des Ruhrgebietes und gaben damit dem Populisten Adolf Hitler einen hervorragenden Stoff, um seinen Revanchismus an den kleinen Mann zu bringen. Ich verkehre gelegentlich an Stammtischen im Rhein-Main-Gebiet und in Österreich und kann den Leser guten Gewissens versichern, dass die Sprüche, die dort kursieren, viel schlimmer sind als jeder denkbare Schritt des Heiligen Stuhls: Dort wird gelegentlich „der Adolf“ als Retter in der Not verherrlicht, man wünscht (immer nur gelegentlich), dass er auferstehe, wie der Barbarossa aus den Kyffhäusern, um seinem Volke beizustehen, in einer Zeit, in der Ausländer, Türken, sonstige „Asoziale“, die Straßen unsicher machen. Dann frage ich mich: Hätte man einen normalen Umgang mit unserer nicht normalen Vergangenheit gepflegt, hätte man nicht hysterisch auf jedes verdächtige Wort, sei es von Jenninger, sei es von einer unbedarften TV-Ansagerin, reagiert, wäre man soweit? Es ist doch goldrichtig gewesen, die unrühmlichste Periode der deutschen Geschichte zu stigmatisieren, die frühen Warnzeichen einer aufkommenden fremdenfeindlichen Gesinnung klarzustellen, damit man jede Auswüchse in eine bestimmte Richtung im Keim ersticke, aber musste unbedingt eine solche Neurose erzeugt werden, die einem verbietet zu sagen, dass er stolz ist, ein Deutscher zu sein? Musste es soweit kommen, dass eine schwarz-rot-goldene Fahne im Garten bereits als Zeichen eines ewiggestrigen Geistes betrachtet wird?

Der Prohibitionismus in Amerika hat es uns vorgemacht: Wenn etwas verboten ist, dann ist es ganz besonders begehrt. Dies gilt natürlich auch für die -sehr spärlichen -Überreste der DDR: Niemand hat in der Euphorie der Wiedervereinigung daran gedacht, dass vielleicht ein Bruchteil des Gedankenguts der DDR brauchbar war, dass man die historisch einmalige Gelegenheit hätte aufgreifen können, das Gute des Westens mit dem Guten vom Osten zu verbinden und damit eine Alternative zu Turbokapitalismus und Kommunismus entstehen lassen. Zum Beispiel, das Recht auf Arbeit und die Kinderbetreuung. Nein, das wurde auch dämonisiert, mit dem Ergebnis, dass wir heute vor den Katastrophen von Hypo Real Estate, Märklin und anderen Firmen stehen, dass uns eine Arbeitslosigkeit wie 1933, hier mahne ich zur Vorsicht, bevorsteht und dass die Ackermänner sich sträuben, ihre Firmen vom Bund retten zu lassen, weil sie auf ihre Millionen nicht verzichten wollen.

Hätte man Christus nicht als Kreuz geschlagen, dann hätte man die Christen um ihr wichtigstes Ursymbol gebracht und ihnen die Möglichkeit entzogen, die Gestalt Unseres Herrn durch das Martyrium noch heller erscheinen zu lassen.

Hätte Khomeini kein Todesurteil gegen Rushdie ausgesprochen, dann wäre der Autor der „Satanischen Verse“ heute nur einer kleinen Schar von Anhängern bekannt.