Frankfurter Allgemeine Zeitung
30. Juni 2008 Es passierte im Jahre des Herrn 1996. Die Hoechst AG, bei der ich 16 Jahre als Führungskraft beschäftigt gewesen war, hatte sich für eine sehr eigenartige Politik bei einem Merger entschieden: Nicht die Mitarbeiter der Gekauften, sondern die eigenen, die der Käuferin, mussten ihre Büros räumen. Und die Büros würden nicht mehr am Main stehen, sondern ins Elsass wandern, dort wo die Flüsse weniger empfindlich für Verschmutzung und die Grünen weniger grün waren.
So standen 250 Mitarbeiter vor der Auflösungsvertrag, da die Personalabteilung beteuerte, keine Stellen mehr für die eigenen Leute zu haben. Es wurde unterschrieben und so stand ich da mit einer kleinen Summe, einem gerade mit einem Teil der Abfindung ausbezahlten Reihenhaus und in ständigem Kontakt mit einem Rechtsberater meiner Ex-Ehefrau.
Das Arbeitsamt hatte mich für ein Jahr von allen Leistungen gesperrt, da ich einem Aufhebungsvertrag zugestimmt hatte, als ob ich es freiwillig getan hätte. So stand die private Krankenversicherung auf der Matte, die von mir 550 Mark im Monat aus eigener Tasche verlangte. In die Gesetzliche konnte ich nicht mehr zurück und das Haus verkaufte sich schleppend. War auf einmal „zu laut“, zu „abgewohnt“, von Maklern „kaputtgemacht“ worden.
Alles Absagen, standardisiert
Ich brauchte dringend ein Einkommen und saß bis tief in der Nacht vor der Schreibmaschine, um „Bewerbungsmappen“ für deutsche Firmen zusammenzustellen. Mit mir taten dies auch die restlichen 249 freigesetzten Kollegen von Hoechst und die Opfer der Mergers zwischen Boehringer Mannheim und Roche, wobei Roche nach den üblichen Gepflogenheiten vorgegangen war und, als Käuferin, die Deutschen und nicht die Schweizer in die Wüste geschickt hatte. Alles Absagen, schön sauber, freundlich, standardisiert. Beim Arbeitsamt machte man mir klar, ich sei für eine einfachere Tätigkeit als normaler Angestellte „überqualifiziert“ und für eine Mitarbeit in einer Apotheke kam ich auch nicht in Frage, da ich immer in der Industrie tätig gewesen war und keinen blassen Schimmer mehr vom Arbeitsalltag dort hatte.
Ich besaß noch die Wohnung in Triest, wo meine Großmutter gewohnt hatte und so zog ich nach Italien. Wenigstens dort würde ich keine Krankenkassenkosten bezahlen müssen und hatte ein Dach über dem Kopf. Mit einem flauen Gefühl im Magen saß ich mit meiner Lebensgefährtin zusammen am Frankfurter Flughafen.
Selbstständig gemacht
In Italien wiederholte sich die Sache mit den Bewerbungen, zum Glück erwartet man hier nicht unbedingt die „Bewerbungsmappe“, Lebenslauf genügt fürs Erste. Absagen, keine Antwort, Frage nach Referenzen, Bekannten, die mich hätten empfehlen können. Fehlanzeige auf der ganzen Linie: nach 18 in Deutschland verbrachten Jahren kannte ich in Italien nur ein paar Schulfreunde.
ch machte mich selbstständig und arbeitete als Unternehmensberater für deutsche und italienische Firmen aus der Pharmazeutik und aus der Kosmetik. Eines Tages stellte mein Hauptkunde, aus Sizilien, fest, dass es viel zu teuer war, mich als Berater zu bezahlen und stellte mich so als Exportleiter an. Es ging 8 Jahre gut, bis sein Schwiegersohn ins Familienunternehmen musste und sich ausgerechnet die Stelle als Exportleiter ausgeguckt hatte.
Das Arbeitslosengeld in Italien ist ein schlechter Witz
Da ich inzwischen angefangen hatte, nach Feierabend Bücher zu schreiben und nebenbei italienische und englische Texte ins Deutsche zu übersetzen, ließ ich mich diesmal nicht gesundheitlich kaputtmachen und kündigte selbst. Das Arbeitslosengeld in Italien ist ein schlechter Witz und wird maximal 8 Monate lang bezahlt, dafür ist aber die gesetzliche Krankenkasse, wo ich in weiser Voraussicht versichert war, für Geringverdiener kostenlos. Ich stand damals, 2005, unter keinem Verkaufs- oder Scheidungszwang und fing zum dritten Mal von Null an: Als Schriftsteller und Übersetzer.
Das Leben in Italien ist kein Zuckerschlecken, wie sich viele Bewunderer der Capri-Fischer und des Balsamico vorstellen: Eine alles verschlingende Bürokratie, überall Personalmangel, teure Lebensmittel, Vitamin B als Maßstab aller Dinge, am Schalter erhält man zuerst eine Absage, dann muss man verhandeln, um zum Schluss doch in den Genuss eines „Nur weil Sie es sind“ zu kommen. Das Leben, vor allem im kulturellen Bereich besteht nur aus rennen, oberflächig grüßen, sich bei den Richtigen sehen lassen, weg zum nächsten. Vor allem hat in Italien ein Schriftsteller, der auf Deutsch schreibt, einen Standortnachteil. Auch in Deutschland wird man oft als Randerscheinung wahrgenommen, wenn man im Ausland wohnt und nicht gerade Peter Handke heißt.
Jetzt stehe ich wieder auf gepackten Koffer, versuche wieder ein Haus zu verkaufen, irgendwann wird es mir auch gelingen, und dann hat mich Deutschland schnell wieder.