Euro… was?

In Frankreich wohnen, in der Schweiz arbeiten, in Deutschland einkaufen: Europa im Alltag.

Mein Straßburger Hotel ist noch weit: Zwei Straßenbahnen und dann noch ein Bus. Ich spreche Leute an, die mit mir zusammen warten.

„Was halten Sie von der Eurorégion Haut-Rhin?“

“ Qu’est ça? Euro, euri… quoi? “

Ich zeige der vornehmen Dame mit Computertasche in der Hand die Karte, die ich aus der Webseite ausgedruckt habe.

„Nichts Neues, das sind wir und die angrenzenden Staaten. Ist es ein Projekt?“

„Die Euregio gibt es schon seit 1975, wissen Sie? Es ist, wenn jemand in einem Land wohnt und in einem anderen arbeitet, der Flughafen Basel-Mühlhausen, das Bonner Abkommen von 1975.

„Schon gut, alles klar. Hier arbeiten wir seit ewig zusammen, man braucht nichts Neues, ähnliche Leute, gleiche Mundarten, ähnliche Strukturen“.

„Gleiche Mundarten, sagten Sie? Kann ich dann auf Deutsch weiterreden?“

„Non, non, monsieur, c’est le Français que nous apprenons à l’école, aussitôt l’Anglais, un petit peu. “

Ich befinde mich in einer Hochburg der EU und die Begeisterung der Dame hält sich anscheinend in Grenzen, sechs Kilometer von der deutschen Grenze und sie spricht die Sprache der Nachbarn nicht, ich bin von „ihrer“ Euregio begeistert und sie kennt sie nicht einmal.

Jetzt warte ich neben einem Polizisten.

„Ich bin hier, um eine Reportage über die älteste Euregio Europas zu schreiben…“

„Und die wäre? Lassen Sie mich raten… Na, das Baskenland!“

„Je régrette, wir befinden uns mitten drin, Haut-Rhin!“

„Gut, das aber seit lange. Wir sind ein friedfertiges Volk, unsere Regionen zählen zu den wohlhabendsten Europas, wir haben gemeinsame kulturelle Wurzeln. Wissen Sie, mein Bruder arbeitet in Basel in der Chemie, Novartis, sagt es Ihnen was? Er verdient wie ein Schweizer, bezahlt die Steuern eines Franzosen, geht samstags nach Deutschland einkaufen. Das ist das echte Europa, was sollen da noch die Euregios?“

Unbedingt darüber schlafen.

Über dem Rhein: Kehl

Nach drei Haltestellen wechsle ich von der Straßenbahn auf einen Bus, der alle 15 Minuten nach Kehl, Deutschland, rechtsrheinisch, fährt. An der Grenze steht eine riesige französische Apotheke, wo viele Medikamente billiger sind und die Rezeptpflicht nicht so streng ausgelegt wird. Gleich hinter der Europabrücke befinden sich der Bahnhof und die Stadtmitte von Kehl. Fünf französisch beschriftete Tabakladen wenige Gehminuten von der Grenze entfernt weisen unmissverständlich auf einen weiteren Vorteil der offenen Grenzen hin. Bisher besteht die Euregio aus Apotheken und billigen Zigaretten. Vor dem Termin im Büro der Oberrheinkonferenz habe ich noch ein Bisschen Zeit, um diese Rheinseite auszukundschaften.

Touristenpavillon: Ich gehe hinein und finde Touristenmaterial über beide Rheinufer vor, den Museumspass, der es einem ermöglicht, mit einem bescheidenen Geldbetrag 140 Museen in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz zu besichtigen, eine vierteljährig erscheinende Programmzeitschrift für alle drei Gebiete, die Plakate vom Rheinfest, ein gemeinsames Fest für Baden und Elsass im Zweiländerpark, vom Rhein getrennt und mit einer Fußgängerbrücke verbunden.

„Ihre Meinung zur Euregio?“

„Haben wie so was?“

„Ja, schon, und das seit 1975.“

„Komisch, ich wusste nichts davon! Wissen sie, hier sind wir es gewöhnt, französische Kollegen zu haben, eine deutsche und eine französische Rente, einen Angehörigen, der in der Schweiz schafft, einen blühenden grenzüberschreitenden Handel, Feste, welche die Kommunen seit Menschengedächtnis sponsern, Partnerstädte… wozu dann eine Euregio? Der Euro, Schengen, das sind brauchbare Einrichtungen!“

Französische Hausfrauen strömen in die Einkaufszone, in der selben Gruppe haben nicht alle die selbe Hautfarbe, sie studieren aufmerksam die Sonderangebote und verlassen die Bekleidungsläden mit vollen Tüten.

Die nächste Etappe ist die AOK, die größte deutsche Krankenkasse. Eine Angestellte bietet mir einen Stuhl an, es kann losgehen.

„Wie hat sich die Euregio auf Ihre Arbeit ausgewirkt?“

„Was meinen Sie bitte? Euro… was? Wie war das noch mal?“

Sie holt den Abteilungsleiter hinzu: “ Er meint, so wie wir mit Frankreich zusammenarbeiten, es ist nur eine neue Bezeichnung. Seit Jahrzehnten flattern auf unsere Schreibtische Anträge auf Übernahme von Leistungen in Straßburg oder in der Schweiz. Früher gab es Probleme mit der Schweiz bei der Abrechnung, heute geht alles glatt. Ein deutscher Krankenwagen durfte bis vor Kurzem nicht nach Frankreich mit Blaulicht und Hupe fahren, heute ist es erlaubt. Jeder Grenzgänger hat das Recht, zum Arzt, auch zum Hausarzt, dort zu gehen, wo er will, seit einigen Jahren hat sich die Schweiz an die EU-Konvention bei akuten Erkrankungen angeschlossen, momentan arbeiten wir an einen automatischen Nachweis von verfügbaren Bettkapazitäten in allen drei Regionen. Ist das die Euregio, die Sie meinen?“

Bei der Pressestelle im Rathaus. Die Sprecherin ist freundlich, hakt aber sofort beim Wort Euregio nach: „Presse und Politik reden zwar davon, aber korrekterweise sollte man Eurodistrikte sagen. Diese setzen sich aus angrenzenden Gebieten zusammen, den italienischen Provincie vergleichbar, und jeder hat seine eigene Agentur für Arbeit, seinen Kreistag und seine Kommunen. Die Hauptaufgabe der Eurodistrikte, die auch bei der französischen Bevölkerung bestens bekannt sind, ist Angebot und Nachfrage von Arbeitsplätzen aus beiden Rheinufern zusammenzubringen und für die Abwicklung von Fragen des Arbeitslosengeldes, der Gesundheit und sonstiger sozialen Angelegenheiten zu sorgen.

Ich habe noch eine Stunde Zeit vor dem Termin im Büro einer Euregio, deren Konturen immer unschärfer werden. Ich besuche einen Immobilienmakler.

„Nach dem Höheflug der Preise in Straßburg kamen vermögende Kunden aus Frankreich zu uns, um Wohneigentum zu erwerben. Die Preise in Grenzgebieten haben zwar angezogen, aber jetzt gehen wir durch eine Konsolidierungsphase. Die Nachfrage betraf hauptsächlich freistehende EFH zur Eigennutzung. Wir hatten keine Anfrage von Investoren.“

Die Preise sind auf dem Niveau anderer deutschen Städte am Rhein. Ein freistehendes EFH für 300.000 Euro, ein RH für 250.000 Euro, eine EW mit 100 Quadratmeter Wohnfläche 180.000 Euro. Am nächsten Tag vergleiche ich diese Preise mit denen in Frankreich und stelle fest, dass die Preisunterschiede jetzt wirklich minimal sind.

13 Uhr: Ich sitze in einem Cafe´ im Freien und es riecht unverwechselbar nach Abwasser. Ein Arbeiter ruft laut: „“Merde, les Fritz ont construí des égouts incroyables! Et ils disent que nous les Français ne savons pas travailler bien! „. Zwei französische Arbeiter schuften zwischen unappetitlichen Duften, währen die Deutschen in der Mittagspause und die Französinnen auf der Suche nach Sonderangeboten seufzen.

Bei der Oberrheinkonferenz

Der Sitz der Euregio befindet sich in einer Villa aus dem 19. Jahrhundert, in der Kehler Innenstadt. Im Erdgeschoss ist in drei Räumen INFOBEST untergebracht, ein Büro für die Beratung der Bürger zu Fragen der Beziehungen zu Behörden, des Steuerrechtes, des Sozialen, auch für grenzüberschreitende Projekte zuständig.

Im ersten Stock, ebenfalls in drei Räumen, hat das Sekretariat der Deutsch-Französisch-Schweizerischen Oberrheinkonferenz seinen Sitz. Die vier Personen, die im Sekretariat arbeiten, sind die einzigen direkten Gehaltsempfänger der Euregio. Hier treffe ich Michael Frey, der Vertreter Deutschlands im Sekretariat.

„Bald wird die Euregio anders heißen, Euregio war sowieso nie ganz offiziell. Der neue Name ist Metropolregion. Bereits 1950 wurde eine lokale Zusammenarbeit in die Wege geleitet. 1991 wurden die Initiativen der Eurodistrikte offiziell anerkannt und es wurden zwei Koordinationsorgane ins Leben gerufen:

Die Kommission (Abgeordnete aus Ländern, Kantonen, Region und Bürgermeister) und die Konferenz, die aus vier Mitgliedern besteht, die bereits gewählte Volksvertreter sind. Der Sprecher ist der Regierungspräsident von Karlsruhe. Das Sekretariat ist die Exekutive.“

Sie haben kein Parlament mit Direktwahl: Haben Sie eine rechtliche Persönlichkeit als Euregio?

“ Wir haben weder ein direkt gewähltes Parlament, noch eine rechtliche Persönlichkeit, noch eine legislative Gewalt. Wir sind eine Instanz, an die Probleme herangetragen werden, die sich aus der Nachbarschaft ergeben. Diese betreffen die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft. Wir erarbeiten Lösungsvorschläge und, wenn diese juristische Relevanz besitzen, geben wir sie zur Genehmigung an die zuständigen Stellen weiter: In Deutschland den Ländern, in Frankreich dem Parlament, in der Schweiz den Kantonen. Es gibt Fälle, in denen ein lokaler Vorschlag zu Änderungen des nationalen Rechts führt. Unsere Euregio ist bottom up, sie kommt von unten: Zuerst handeln wir, lösen die Probleme, treffen lokale Vereinbarungen. Erst dann wenden wir uns an die Staaten und lassen unsere Entscheidungen genehmigen. Zuerst die konkreten Projekte, dann die Strukturen. Ich glaube nicht, dass wir über mehr Kompetenzen verfügen werden, z.B. über eine legislative Gewalt. Niemand vermisst sie und wir möchten die nationale Gesetzgebung anderer Staaten nicht beeinflussen“

Welche sind Ihre wichtigsten Projekte?

Jetzt stößt Sylvia Müller-Wolf, internationale Koordinatorin der Agentur für Arbeit in Karlsruhe, zu uns zu und wir setzen das Gespräch zu dritt fort.

“ Als 1986 die Lagerhallen von Sandoz in Basel brannten, stellten wir fest, dass wir eine Koordinierung des Katastrophenschutzes brauchten. Wir haben ein gemeinsames Netz für Informationsaustausch und Notfallhilfe auf die Beine gestellt und gemeinsame Übungen durchgeführt. Dabei wurde uns klar, dass wir die SOPs vereinheitlichen mussten, wie auch die Sprache des anderen verstehen. Wir sind gerade dabei, diese Probleme mit einem einschlägigen Konversations-Handbuch zu lösen. 2007 wurde ein gemeinsames Feuerlöschboot mit Standort Straßburg/Kehl (in gleicher Entfernung zu den bereits bestehenden Schiffen) vom Stapel gelassen.“

Die Arbeitsgruppe Gesundheit hat sich die Rationalisierung der Strukturen zur Aufgabe gemacht, mit dem Ziel, die Effizienz zu erhöhen und die Kosten zu senken. Dabei spielt die Koordinierung der Notfallmaßnahmen eine besondere Rolle: Damit steht die gesamte Bettenzahl und die Verfügbarkeit von Operationsräumen in der ganzen Region auf dem Bildschirm, aufgeteilt nach Fachgebiet und Schwerpunktkrankenhäusern. Darüber hinaus gibt es auch eine Zusammenarbeit bei der Harmonisierung des Abrechnungswesens und in der Drogenpolitik“

Bei geplanten stationären Behandlungen, ist es möglich, dass man sich auch an die Strukturen eines anderen Staates in der Region wende?

„Das geht leider noch nicht, dafür ist noch die Genehmigung der eigenen Krankenkasse erforderlich, die man in der Regel umgehend erhält“

„Der Umweltschutz schließt ein gemeinsames Nachweissystem für die Luftverschmutzung (mit INTERREG III finanziert) mit ein, sowie ein Abkommen über die Schwellenwerte im Trinkwasser. Ein Beispiel: Eine Müllverwertungsanlage auf französischem Gebiet wurde geschlossen, um einen benachbarten Naturpark in Deutschland nicht zu gefährden. Eine Kommission überwacht die Schlüsselfaktoren für den Klimaschutz.“

In der Folge ergibt sich ein Gespräch über die beschränkten Möglichkeiten, die Nuklearpolitik der Nachbarn zu beeinflussen und auch die Kulturbudgets kommen hier zur Sprache: Die gesamte jährliche Subvention für den Austausch von Theaterveranstaltungen beträgt Euro 33.000, wird je zu einem Drittel von jedem Staat getragen und von einer gemischten Kommission an die Antragssteller vergeben.

Aber, wie verständigen sich die Bürger unter einander?

„Das ist ein echtes Problem. In allen drei Ländern ist Englisch die erste Fremdsprache. Im Elsass gibt es noch eine Minderheit von etwa 40% der Bevölkerung, die noch eine deutsche Mundart spricht, es sind aber hauptsächlich Ältere. Die Jungen sprechen die Nationalsprache und, in Frankreich zumindest, wählen sie in der Schule Spanisch als zweite Fremdsprache, weil es leichter ist. In zehn Jahren wird sich die deutschsprachige Minderheit im Elsass stark verringert haben. Es gibt gemeinsame Projekte für die Sprachen: Ein zweisprachiges Schulbuch, Städtepartnerschaften (von den Kommunen gesponsert), Veranstaltungen, Studentenaustausch, Prämien für ein Praktikum im benachbarten Ausland, grenzüberschreitende Jugendtreffen (EU-Finanzierung: Euro 20.000/Jahr). Die Jugend von heute ist einfach zu faul, um eine zusätzliche Sprache zu lernen. Es ist noch ein weiter Weg.“

„Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen in den Schlüsselbereichen für die Region, Forschung, neue Technologien, Tourismus, hat bereits zu beachtlichen Erfolgen geführt. Ein Dach-Marketing hilft uns, die Standortvorteile unserer Region bekannt zu machen und damit regen wir die Ansiedlung von Unternehmen an.“

„Die Zusammenarbeit bei den Infrastrukturen ist die älteste, sie fing bereits 1949 mit dem Bau des Flughafens Basel-Mühlhausen an. Die Region befindet sich am Schnittpunkt mehrerer ICE-Trassen, die sie mit den wichtigsten Städten Europas verbinden (ich habe ein sehr gutes Netz auf der N-S-Achse gesehen, während die internationalen O-W-Verbindungen eher spärlich sind und sich stark an das jeweilige nationale Netz orientieren). Die Grenzgänger können einige lokale Bahnlinien benutzen, wie die von Karlsruhe nach Wissembourg und die vom südlichen Elsass über Basel nach Südbaden. Grenzüberschreitende Monats- und Jahreskarten werden bald zur Verfügung stehen. Ein Problem ist noch die eingleisige Rheinbrücke (Linie Paris-Stuttgart). Eine Verdoppelung ist teuer und so haben wir uns umgesehen. Unter den von Deutschland zu bezahlenden Kriegsfolgenlasten aus dem zweiten Weltkrieg befindet sich auch eine Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Straßburg…“

Ich verlasse das Haus mit dem Gefühl, den Grund für die kaum vorhandene Bekanntheit der „Euregio“ beim Bürger verstanden zu haben: Es ist hier etwas Selbstverständliches, das im Hintergrund wirkt, oft auf lokaler Ebene, ohne einen nennenswerten Personalbestand, beschließt keine Gesetze, wird nicht öffentlich beworben. Es handelt sich um wirtschaftlich und kulturell ziemlich homogene Regionen, die seit Jahrhunderten innoffiziell zusammenarbeiten, denen die „Metropolregion“ vor allem eine flächendeckende Vernetzung und einen Arbeitsmarkt beachtlichen Umfangs beschert hat.

Ich sitze beim Abendessen in einem Straßburger Gasthof und werde an den runden Tisch gebeten. Fast jeder der Stammgäste kann von einem Angehörigen, der in Deutschland oder in der Schweiz arbeitet, berichten, von Problemen mit dem Gesundheitswesen, die von INFOBEST in Kehl gelöst wurden, aber niemand bringt diese kleinen, aber entscheidende Fälle mit einer zwischenstaatlichen Instanz in Verbindung, ganz einfach: „Monsieur, l’Europe c’est ça!“