Frau Dill und die bürgerliche Gesellschaft

Die Zeit

Deutschland 07.08.2008

Sie will es wieder versuchen und die Presse sucht verzweifelt nach Beweisen, dass sie alleine steht. Aber, wie viele BürgerInner haben sonst den Mut und die Gelegenheit, die eigene Meinung bekannt zu machen. Nicht viele, was?

Hier geht es nicht um die angeblichen Karrierewünsche einer bisher nicht besonders geliebten Gesamtschule-Ypsilanti. Die Dame hat sich der Kreuzfahrt gegen die Agenda der SPD gewidmet, egal was passiert. Ich meine, solche Personen, die aus dem Stoff eines Stauffenbergs sind, sollten sehr geachtet werden, und nicht, wie es häufig passiert, als Profilneurotiker in die Ecke getrieben werden. Fortschritt, Fortschttitt… wenn ich daran denke, dann handelt es sich immer um Veränderungen. Wenn sie jemand nicht will, dann sollte er der Allgemeinheit erklären, wie er bitte die Arbeitslosigkeit von Behinderten und älteren Arbeitnehmern beenden will, wie er sich das Leben eines 50jàhrigen vorstellt, der von Mobbing oder Fusion zur Arbeitslosigkeit verdammt wurde, bis 67 auf die volle Rente warten muss und sein Erspartes zuerst ausgeben soll, bevor er in den Genuss von Hartz IV kommt. Möchten Politiker, hohe Manager, Personalabteilungsmenschen, gerne selbst von einem solchen Schicksal getroffen werden?

Natürlich erübrigt sich diese Frage, wenn eines Tages Biblis hochgeht und alle aus ihren Wolken auf die selbstverursachten Verwüstungen hinabschauen.

Man fragt sich scheinheilig, warum die Deutschen (und die Spanier und die Italiener) keine Kinder mehr in die Welt setzen… kann man es überhaupt verantworten, eine neue Generation in die Hände von Leuten zu überlassen, die ihren Nach-Dem-Mauerfall-Rausch noch überschlafen müssen, bevor die Erde sie wieder hat?

Hier geht es ums Ganze und Deutschland hat wieder die ganz große Chance, sich als Vorreiter in Sachen „Denker“ zu behaupten. Die SPD hat nach dem Mauerfall geglaubt, der Kommunismus habe endgültig Konkurs angemeldet, alles was dazu gehörte, inklusive Grundsicherung für Lebensunterhalt, sei grundsätzlich falsch und der zügellose Kapitalismus sei das von Fr. Thatcher heraufbeschworene „Ende der Geschichte“. Ein Spaziergang durch die Innenstadt von Köln oder Solingen genügt, um sich blitzschnell vom Gegenteil zu überzeugen. Die Basis der SPD, nunmehr eine bürgerliche Partei, die solche Bürger einsammelt, die sich keine ausreichende Chance bei der Union oder der FDP ausrechnen, atmet auf, da sie endlich Ver.di vom Hals hat und sich auf die Verteufelung der Linkspartei konzentrieren kann. In einer großen Koalition kommt ein solcher Zustand wie gerufen. Schauen wir uns das Lebensalter von Steinmeier, Struck und Konsorten an, dann ist es wohl klar, dass sich diese Leute bereits in sozialer Sicherheit wähnen und das bestehende System nach Kräften unterstützen. Wenn aber die Zinsen auf 20% steigen, dann haben ihre schönen Investitionen das Nachsehen.

Auf der anderen Seite kämpft ein millionenschwerer Lafontaine um die Verwirklichung der ursprünglichen sozialdemokratischen Ideale. Der hat’s nicht nötig, warum legt er sich so ins Zeug? Warum setzt die Dill alles aufs Spiel? Ich meine, es gibt endlich fähige Politiker, die erkannt haben, dass der Rechtsruck der SPD bestenfalls eine Schnapsidee war, die auf dem Versagen des real existierten Sozialismus fußte. Ganz zu schweigen vom Schröderschen Gebrauch seiner Machtposition zu sehr persönlichen Zwecken. Nun ist der fortschrittliche – und gleichzeitig traditionsbewusste – Flügel der SPD am Werk und diese Leute sind dermaßen von ihrer Mission überzeugt, dass sie bei diesem Vabanquespiel ihre eigene politische Existenz aufs Spiel setzen. Ich würde sie nicht verteufeln, sondern meinen Hut ziehen.