Was soll die NATO heute?

Die Zeit

International 02.04.2008

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und damit des real existierten Sozialismus, sind damit verbundene Organisationen wie der Warschauer Pakt und der COMECON offensichtlich unzeitgemäß geworden und haben sich von selbst aufgelöst. Eine Vielzahl von ehemaligen Trabantenstaaten der UdSSR in Europa ist der EU beigetreten und hat sich daher zur kulturellen und Wirtschaftlichen Einigkeit Europas bekannt. Soweit, so gut. Bis zu diesem Punkt bewegen wir uns auf dem Gebiet der friedlichen Zusammenarbeit, die keinen externen Feind braucht.

Bei der NATO handelt es sich dagegen vorwiegend um eine militärische Allianz, die zwar nach dem Wortlaut der Gründungsurkunde nur darauf bedacht war, die freiheitlich-demokratischen Grundwerte der Mitgliedsstaaten zu unterstützen und das Bündnis für den Fall eines feindlichen militärischen Angriffs zu aktivieren. Nun, man braucht keine Hellseher zu sein, um zu verstehen, dass die NATO als Bollwerk gegen den von der Sowjetunion errichtete Warschauer Pakt ins Leben gerufen wurde. Damals war es auch in Ordnung so und dieser dualen Abschreckung verdanken wir viele Jahrzehnte des Friedens in Europa.

Einer der Kontrahenten hat sich selbst aufgelöst und die meisten seiner früheren Mitgliedsstaaten sind mit fliegenden Fahnen ins frühere feindliche Lager übergewechselt. Es war doch klar, dass die Feindschaften lediglich mit der Angst vor den Sowjetischen Truppen begründet waren und nicht dem wahren Empfinden der Völker entsprachen. Der Prager Frühling hatte dem östlichen Mitteleuropa das Fürchten gelehrt.

Auf der anderen Seite hat die NATO mit dem Irak-Krieg geradezu plakativ gezeigt, dass es sich nicht nur um ein Verteidigungsbündnis handelt, sondern man durchaus bereit ist, auch einen Aggressionskrieg anzuzetteln. Die Konstruktion der NATO hat jetzt ihre existentielle Lebensgrundlage, den Feind und Systemveränderer im Osten verloren und beschränkt sich nicht mehr nur auf die Verteidigung. Was soll dann eine Erweiterung der NATO auf Länder wie die Ukraine, Kosovo, Mazedonien und Kroatien? Will Bush versuchen, die Sowjetunion zu umzingeln und sie seinen Plänen gefügig machen? Sollen weiter östlich gelegene Stützpunkte den lange ersehnten Krieg gegen den Iran erst ermöglichen? Soll der Eiserne Vorhang weiter nach Osten verschoben werden, in der rein präventiven Absicht, eines Tages gegen Indien und China den letzten Weltkrieg führen zu müssen, eher zu wollen?

Mich beunruhigen all diese Versuche, etwas am Leben zu erhalten, was in der heutigen Landschaft sehr wenig an Daseinsberechtigung besitzt und den USA gestattet, trotz eines haarsträubenden Schuldenberges daheim weiterhin den Muskelprotz mit Waffengängen und Allianzen zu spielen. Wer Götz Alys „Hitlers Volksstaat“ gelesen hat, dem zwingen sich unheimliche Parallele auf. Schuldenmachen daheim, damit das Volk einem zujubelt, und gleichzeitig aufrüsten, um das Geld zur Begleichung der eigenen Schulden bei anderen Ländern zu klauen.