Die Zeit – 16.06.08
Kurt Beck hat Pech gehabt in seiner Rolle als Träger fremder Entscheidungen und als Prügelknabe wider Willen. Beck stand, es hat wenig Sinn, nicht darüber in der Vergangenheitsform zu reden, für die Unentschlossenheit der SPD über das eigene Selbstverständnis. War die Agenda, um die sich wirklich alles dreht, eine Notwendigkeit oder ein Verrat? Es ist mit klar, dass ohne ein Bekenntnis zur Agenda die SPD nicht mit der Union koalitionsfähig wäre, aber, wäre die Erkenntnis früher gekommen, dass die Agenda ein Fehlgriff war, hätte die Partei rechtzeitig gegengesteuert, hätte sie die Union als Partner überhaupt gebraucht? Hätten die Linken soviel Zuspruch gehabt, wenn sie nicht gegen eine vom Turbokapitalismus verdorbene SPD hätten wittern können?
Beck kam, als die Diskussion in der eigenen Partei alles Andere als ausgestanden war und bewegte sich entsprechend. Es war jedem Zeitungsleser klar, dass er sich dabei unwohl fühlte, als er die vielen Facetten des „Wortbruchs“ verteidigen musste. Tja, manchmal spielt das Leben verrückt und rückt einen jungen Landtagsvater ins Rampenlicht, dort wo Taktik, Erfahrung und Standing gefragt sind, um einen Konsensus für eigene Ideen zu erreichen. Dies war nicht der Fall und Steinmeier sitzt jetzt auf dem Posten des K-Kandidaten, als Galionsfigur für die Entscheidung der „Partei“. Es tut mir aufrichtig leid um die SPD, die ich immer noch, mit dem linken Flügel um Fr. Nahles ausgestattet, als umdenkfähige, dennoch mit allen Mechanismen der demokratischen Sicherheit ausgestattete Partei angesehen hatte.
Das SPD- Volk der Stimmen und der Umfragen hat deutlich „nein“ zur Agenda gesagt, hat signalisiert, dass es nicht genügt, die Heuschrecken in den Mund zu nehmen, um sich von den Machenschaften des Kapitals zu distanzieren. Die Wähler wandern dahin, wo sie die richtigen Sozialdemokraten vermuten, sind nicht auf dem Ostalgie Trip, möchten nicht in VEBs arbeiten und an der Grenze kehrt machen. Es wird eine rein emotionelle Angst geschürt, es wird pauschal gesagt, dass die Linken mit reinem Populismus und ohne Konzept in Richtung Wiederbelebung der SED arbeiten, aber niemand hält es für erforderlich, sich mit den vorhandenen Programmen der Linken auseinander zusetzen. Bis auf ein paar eigener Variationen atmen sie den Geist von Brandts und Schmidts SPD, nichts, was an den real existierten Kommunismus erinnern würde. Trotzdem soll die Linken in den Wunschvorstellungen gewisser Medien aus Altkommunisten bestehen, so wie seinerzeit Jörg Haider als Obernazi zur Unperson gemacht wurde, ebenfalls ohne ein Sterbenswörtchen über seine, später tatsächlich in Kärnten in die Tat umgesetzten Programme zu verlieren. Ganz nebenbei, in Haiders Kärnten gibt es immer noch ein Mehrparteiensystem, keine Volksgemeinschaft, man grüßt mit „Grüß Gott“ und mit dem rechten Arm winkt man nur freundlich.
Das Spielchen der SPD, den Protest seiner ehemaligen Wähler zu ignorieren, die Linke als Oberpopulistenkommunistenverein zu schmähen und ein Abbild Schröders als K-Kandidat vorzustellen, kann nicht aufgehen. Es treibt geradezu die echten sozialdemokratischen Wähler in die Arme einer Linkspartei, mit der die SPD früher oder später doch verhandeln müssen wird. Wäre es nicht besser, sich doch an das Unvermeidliche schrittweise vorzubereiten, wie es Wowereit vormacht, statt sich dem Chor der oberflächigen Beschwichtiger anzuschließen? Damit vergibt sich die SPD die Chance, doch einen gewissen Einfluss auf die Linken frühzeitig auszuüben und wird eines Tages bedingungslos kapitulieren müssen und sich als wortbrüchig beschimpfen lassen.
Wenn Frau Nahles schon weiß, dass sie eines Tages doch sehr konkret mit den Linken reden muss, warum lässt sie nur so Bemerkungen fallen, aber stets mit dem Vorbehalt „mit denen nie!“? War ihr Ypsilanti nicht Lehre genug?